„Anfangs wurde man als Verrückte bezeichnet“

Foto: CD
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Samira A. ist Mitbegründerin und Leiterin einer Hundestation auf der Halbinsel Halkidiki in Griechenland. Sie lebt dort und setzt sich seit über 16 Jahren für den Tierschutz ein.

► Samira, erst einmal bedanke ich mich, dass ich hier bei Ihnen auf der Station sein darf.

Beschreiben Sie doch bitte kurz die Arbeit von Animal Pard Net (APN)?

 

Samira: APN ist ein Verein, der sowohl in Deutschland tätig ist als auch hier in Griechenland. Man kann sagen, es gibt zwei Zweige, der eine ist in Griechenland direkt an der Basis, also kümmert sich um die herrenlosen Tiere vor Ort und der andere Teil, der in Deutschland ist, kümmert sich um die Versorgung des griechischen Vereins. Was da bedeutet: Hilfsgüter besorgen, Spendengelder, Publicity-Arbeit, Vermittlungshilfe und auch Raum schaffen für Operationen an Tieren, die hier vor Ort in Griechenland nicht operiert werden können.

 

► Und wie ist die Philosophie des Vereins?

 

Samira: Die Philosophie des Vereins ist eigentlich in wenigen Worten zu beschreiben. Es geht hier hauptsächlich darum, die allgemeine Situation der Tiere zu verbessern bzw. in manchen Gegenden direkt vor Ort auch zu optimieren. Eigentlich ist das Hauptaugenmerk darauf gerichtet das Leid der Tiere zu mindern und das Leben der Tiere wieder lebenswert zu machen. Etwas, was leider in Griechenland bzw. in vielen südlichen Ländern oft nicht mehr der Fall ist, aufgrund dessen, dass die Tiere oft nur als Nutztiere gesehen und dementsprechend eher als Ware bzw. als Gegenstände betrachtet werden, die man austauschen kann.

 

► Wie viele Mitarbeiter haben Sie?

 

Samira: Das ist immer etwas schwankend und hängt auch von dem Angebot ab. Leider können wir hier in Griechenland nicht sehr viele Menschen dazu bewegen auf einer Tierstation zu arbeiten, und ich bin immer noch darauf angewiesen Menschen aus dem fernen Deutschland hierher zu holen. Im Schnitt sollte es sich eigentlich immer um drei Mitarbeiter handeln, aber wie gesagt, das schwankt immer. Im Moment sind wir nur mit einem einzigen Mitarbeiter bestückt.

 

Wie finanziert sich der Verein?

 

Samira: Der Verein finanziert sich überwiegend durch Spendengelder. Es ist ein eingetragener Verein mit Allgemeinnützlichkeit. Durch Spendengelder und das Wohlwollen vieler neuer Hundebesitzer, die auch Hunde aus Griechenland haben und ihre Artgenossen hier nicht vergessen, bzw. diese auch immer wieder beschenken.

 

Wie sieht so ein typischer Tag auf der Station aus?

 

Samira: Ein Arbeitstag hier auf der Station beginnt normalerweise gegen halb acht Uhr morgens. Da wird das übliche gemacht: alle Hunde werden gefüttert und die Behausungen der Hunde bzw. die Zimmer der Hunde gesäubert, Medikamentenausgabe und Futterzubereitung. Dann gibt es eine kleine Pause: Frühstückspause für die Menschen. Dann geht es mittags eigentlich gleich weiter. Dabei wird sich hauptsächlich um die Welpen gekümmert, bzw. die einzelnen Rudel werden intervallmäßig rausgelassen. Daneben gibt es Telefonarbeit bzw. Außenarbeit, was da bedeutet, dass bestimmte Futterstellen abgefahren werden, oder man sich aufgrund von Anrufen oder Informationen von außerhalb um Tiere kümmert, die entweder verletzt sind bzw. Tiere wiederum hier aufnimmt auf der Station, die einem gemeldet werden. Dann gibt es Kastrationsaktionen, die auch wiederum parallel laufen. Fahrten zu Tierärzten, Flughafenfahrten, um Tiere per Flugfahrt herauszuschicken. Dann gibt es abends noch einmal die sogenannte Abendrunde, und da beginnt das Spiel wieder von vorne. Alle Tiere, also alleerwachsenenTiere, werden zweimal am Tag gefüttert, morgens und abends, und die Welpen bekommen, je nach Zustand, drei- bis viermal am Tag. Dann gibt es Krankenversorgungen, Wundbehandlungen, das ganze Spektrum, was man so eigentlich unter Tierpflege versteht, vom Bürsten angefangen bis Hofkehren, Wasser holen und so weiter und so fort.

 

Wie oft kommen Notfälle vor?

 

Samira: Kann man eigentlich ganz schlecht sagen. Es geht manchmal so ganz schubweise, das ist auch saisonal bedingt. In der Sommerzeit kann man sicherlich sagen, dass man jeden zweiten Tag in irgendeiner Form einen Notfall hat. In den Wintermonaten reduziert sich das etwas. Da kann man sagen, dass man vielleicht in der Woche einen hat.

 

Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

 

Samira: Oh, da gibt es eigentlich einige Fälle. Einer, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, ist eine Rotweiler-Mischlings-Hündin, die mit Schrotkugeln angeschossen wurde. Der Hund hieß damals Aika; eine ganz, ganz liebe Hündin, die dann quasi wie querschnittsgelähmt gewesen war. Aufgrund des Röntgenbefundes konnte man dann sehen, dass eine kleine Kugel, die in etwa so 4/5 mm Durchmesser hatte, sich genau in den Wirbelkanal eingebohrt hatte. Das war eigentlich der Auslöser dafür, dass sie - also im Nackenbereich war diese Kugel, und Aika deswegen komplett querschnittsgelähmt gewesen ist. Nach ungefähr einer 14-tägigen Therapie - ach, der Hund war übersät mit Blei, also Bleiausleitungen und so weiter und so fort - konnten wir die Aika zumindest dazu bringen, dass sie ihre Füße wieder bewegen konnte, also auch die Hinterläufe. Es wurde auch noch eine Operation an ihr vorgenommen, bei der versucht wurde die Kugel zu entfernen, hier in Griechenland. Das war auch gelungen, wobei allerdings ihre neurologischen Ausfallserscheinungen, die sie aufgrund dieser Verletzung hatte, nicht behoben werden konnten, auch wenn sie wieder Kontrolle über Stuhlgang und Harnablass hatte. Diese Hündin habe ich dann nach Deutschland geschickt an die Uniklinik München, in der Hoffnung, dass man ihr da irgendwie helfen kann.

Und das war ein ganz, ganz großer Schatz dieser Hund, wortwörtlich, also für mich einfach eine ganz große Bereicherung, weil dieser Hund auch immens dagegen angekämpft hat gelähmt zu bleiben und einen riesengroßen Lebenswillen hatte und zu allen, ob Zweibeiner oder Vierbeiner, egal, wie groß, wie klein gutgesinnt war. Ein absolut traumhafter Hund. Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll, ein absolut sanftes Wesen hatte sie. Und dieser Hund musste leider eingeschläfert werden, weil man ihm nicht mehr helfen konnte in Deutschland.

Und das ist so ein Fall, wo man zwischen Hoffnung und gleichzeitig eigentlich auch dem Wissen, dass es vielleicht doch nicht geht, immer wieder hin und hergependelt ist, und mir hat es sehr Leid getan, dass ich sie nicht habe auf dem letzten Weg begleiten können.

 

Haben Sie eigene Tiere?

 

Samira: Ja, habe ich auch. Also bis vor kurzem hatte ich noch, aus meiner Anfangszeit hier vom Tierschutz, Hunde. Sozusagen die Hunde, mit denen ich die ganze Sache hier begonnen habe, also die Anlass auch hierfür waren, dass ich überhaupt Tierschutz mache. Die sind mittlerweile, der letzte vor einem Jahr, verstorben, im Alter von 16 Jahren. Jetzt habe ich eigentlich ein paar etwas kompliziertere Hunde und habe mir auch mal selbst einen Wunsch erfüllt und einen Saugwelpen behalten. Diesen habe ich mit der Hand großgezogen, der ist einfach mal ein ganz normaler Hund, ohne Handicap.

 

Es gibt auch viele hilfebedürftige Tiere in Deutschland, wie stehen Sie dazu?

 

Samira: Also das ist mir sehr bewusst, da ich auch selbst ein Mensch bin, der sagt, Tierschutz hört nicht hier an der griechischen Grenze auf. Ich bemühe mich eigentlich immer so eine Art Balance zu halten, das äußert sich dahingehend, dass ich Hunde hier aus Griechenland nur dann nach Deutschland vermittele, weil es mir gerade bewusst ist, dass es bestimmte Rassen in Deutschland gibt, die auch massenweise im Tierheim abgegeben werden, wie z.B. Rottweiler, Schäferhunde oder Kampfhunde. Da versuche ich eigentlich doch weitestgehend Tiere zur Vermittlung nach Deutschland zu schicken, die absolut sozial verträglich sind, also die auch keinem anderen Tier im Tierheim den Platz wegnehmen durch einen Daueraufenthalt im Tierheim. Prinzipiell, wenn ich jetzt für APN spreche, bemühen wir uns auch, zumindest der deutsche Teil. Ich, hier von Griechenland aus, kann das schlecht machen auch deutschen Tieren zu helfen.

Das kommt immer mal wieder vor, dass unser Verein sich speziell um Notfälle kümmert, meistens finanzieller Art, und dafür sorgt, dass Tiere, deren Besitzer in finanzielle Nöte geraten sind, und die ihr Tier gerne behalten würden, aber es selbst nicht finanzieren können aufgrund von chronischen Erkrankungen der Tiere. Da versucht unser Verein auch hier und dort im Rahmen seiner Möglichkeiten diesen Tieren ihr Zuhause zu erhalten bzw. die Menschen weiterhin mit ihren Tieren leben zu lassen.

 

Wie nehmen die Griechen Ihre Arbeit an?

 

Samira: Anfangs wurde man als Verrückte bezeichnet, sag ich jetzt mal, also wirklich verrückt im Kopf, also etwas verschoben im Gegensatz zur „normalen“ Gesellschaft Griechenlands, was also auch zwangsläufig zu dieser Reaktion führte. Zumal es hier von der Einstellung eher so ist wie in Deutschland vor 50 Jahren. Mittlerweile hat sich die Situation verändert. Sicherlich auch auf Grund dessen, dass immer mehr Tierschützer ihren Mund aufmachen und auch gegen dieses Tierelend nicht nur ankämpfen, indem sie halt jeden Tag etwas für die Tiere tun, sondern auch wirklich Sachen zur Anzeige bringen und so weiter und so fort.

Die Griechen als solche sind vom Grundtenor her , - ich kann es gar nicht so generell sagen, mir missfällt es auch einen Stab zu brechen über eine ganze Nation – aber man kann sicherlich sagen, sie sind nicht so tierlieb wie die Deutschen bzw. haben ein anderes Verständnis von Tierliebe, das halt mehr über das Tierdenken geht. Ich würde mal sagen, dass ich jetzt auf dem Stand 50/50 bin.

50% der Bevölkerung findet diese Arbeit gut und 50% der Bevölkerung, oder ich sage mal 45% der Bevölkerung findet es nicht gut, 5% sind unentschieden. So in der Art kann man das in etwa ausdrücken. Es gibt auch viele Feindseligkeiten, gerade was das Thema Tiere angeht, weil die Tiere oftmals nur als lästig angesehen werden und jeder der sich um sie kümmert oder für ihre Rechte einsetzt, wird dementsprechend verurteilt oder stört. Aber das ist, glaube ich, in jedem Land so.

 

So viel Leid zu sehen, ist sicherlich schwer. Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft?

 

Samira: Das mit dem Leid ist sicherlich auch so eine Sache, dass man sich im Laufe der Zeit ein etwas dickeres Fell anschaffen muss. Was aber dann nicht bedeutet, dass man trotzdem vor manchen Situationen heulend zu Boden geht; dieses Recht der Menschlichkeit, das sollte man sich eigentlich immer bewahren. Nicht desto trotz kann ich persönlich niemals den Tieren hier den Rücken zudrehen und ich will das so lange machen, so lange es mir von deutscher Seite, sag ich jetzt mal, finanziell möglich gemacht wird, diesen Tieren hier optimal zu helfen. So lange werde ich das machen, also wenn meine Gesundheit es zulässt, bis ich 70 bin, bis ich 80 bin. Sicherlich werde ich auf jeden Fall zusehen, dass diese Station oder Tierschutz hier in dieser Region auch nach mir noch existiert, also das ist mein großer Wunschtraum.

 

Wie sehen Sie die Zukunft der Tierhilfe in Griechenland?

 

Samira: Also Tierschutz insgesamt!? Ich sehe ihn sehr positiv. Zumal sich in den letzten 2 Jahren eine ganze Menge hier verändert hat, also gerade auch was die Gesetzgebung angeht. Die Tierschützer haben ein anderes Selbstbewusstsein bekommen aufgrund des Gehörs, was ihnen quasi bzw. was sie sich selbst verschafft haben, bestimmte Gruppen zumindest, und ich glaube nicht, dass Griechenland einen Alleingang starten kann. Unabhängig jetzt von dieser Finanzkrise, die sie hinter sich gebracht oder auch nicht hinter sich gebracht haben, werden sie es nicht schaffen aufgrund der Weltöffentlichkeit bzw. der Öffentlichkeit aus dem westlichen Europa diese Thematik als solche gar nicht mehr zu beachten. Auch vielleicht aufgrund des Tourismusaufkommens, was dieses Land hat, gibt es da doch sicherlich auch Bevölkerungsgruppen, die hier Urlaub machen, die da sehr sensibel reagieren und auch ein wunderschönes Griechenland meiden würden. Also ich sehe da eigentlich die Zukunft auf verschiedenen Ebenen auf jeden Fall positiver als vor 10 Jahren. Also man merkt eine Entwicklung, eine ganz klare Entwicklung im positiven Sinne.

 

Ich bedanke mich für dieses Gespräch.

 

Samira: Bitte.

 

Dieses Interview wurde geführt von Conny Daemgen